Neuer Artikel von Sunny
Diesen Artikel möchte ich schon so lange schreiben, da es mir eine Herzensangelegenheit ist, denn ich kann und weiß nur leider zu gut wovon ich da rede.
Ich selbst habe damit im Alter von 12 Jahren angefangen. Es begann alles damit mir Liebe und Zuneigung der eigenen Familie zu erkaufen. Denn nichts sehnlicher habe ich mir nach dem Tod meines Vaters gewünscht.
Ich was damals schon sehr einfallsreich, denn natürlich konnte ich mit 12 Jahren nicht einfach bei Quelle und Co. anrufen, also schrieb ich mit Schreibmaschine. Andere Kinder verbrachten ihre Zeit nach der Schule mit Freunden, ich hingegen mit Katalogen, Schreibmaschine und Fax Gerät. „Vorbild“ damals war meine große Schwester, bei ihr hab ich mir alles abgeschaut.
Und anstatt, dass es unterbunden oder bestraft wurde, wurde es gefördert mit Wunschlisten. Natürlich wollte ich auch in der Schule dazugehören bei den Großen. So begann das Bestellen von „tollen“, teure Markenklamotten für mich. Und plötzlich war ich jemand – wurde gesehen, bewundert. Noch dazu ging es mir gut, denn in der zeit des Kaufens vergaß ich alles um mich herum, alles war so „toll“, so schwerelos, wie fliegen.
Mit 16 Jahren wurde mir ein Konto eröffnet, damit ich die EC Karte erhalte. Es wurde jedes Geschäft, wo bezahlen mit Lastschrift funktionierte mit mir aufgesucht. Das Schicksal nahm seinen Lauf. Ab da nutzte ich es immer, um Menschen in mein Leben zu integrieren, zu halten, negative Gedanken zu vergessen. Mir wurde sehr früh schon das Gefühl gegeben ein Niemand bzw. nichts Besonderes zu sein. Von einem Selbstwertgefühl war keine Spur – woher auch.
Irgendwann war es für mich Normalität geworden.
Als ich mit 20 Jahren das erste Mal in Haft kam für 9 Monate, auf Grund von 33-fachen EC Karten Betrugs, hatte ich Gespräche mit der Suchtberatung, da erhielt ich die Diagnose Kaufsucht. Ich belächelte dies zunächst, ich wollte es nicht wahrhaben! Doch umso länger ich darüber nachdachte, die Zeiten Revue passieren ließ, mit dem psychologischen Dienst sprach, realisierte ich, dass ich ein Problem habe. Mir wurde auch klar, dass ich das ohne Hilfe nicht schaffen werde. Denn es ist leider wie Fahrradfahren, man vergisst es nicht. Und viel zu früh hatte ich damit begonnen, gelernt wie ich Dinge bekomme, die ich mir eigentlich gar nicht leisten kann. Ich hatte von Haft alles organisiert bzgl. einer Therapie, eine Woche nach der Haftentlassung wäre der Aufnahmetermin gewesen. Doch musste ich bis dahin nach Hause zurück, mir wurde gesagt „du warst doch nun 9 Monate in Haft, das musst du doch nun auch so schaffen!“. Ich redete es mir schlussendlich selbst ein und ich hätte es besser wissen müssen. Doch ich fuhr nicht zur Therapie, stattdessen redete ich es mir schön und ein, dass ich das auch so schaffe.
Den ersten Rückfall hatte ich keine 19 Tage nach 9 Monaten Haft und schlimmer denn je. Ich schaffe immer wieder längere Abstinenzphasen, deshalb war ich mir auch so sicher es alleine zu schaffen, hinzu kam, dass ich mich so sehr geschämt hatte.
Die Schuldgefühle zerfressen einen. Als ich mit meinen Sohn schwanger wurde, war mir klar es muss sich etwas ändern, denn ich wusste zu gut irgendwann bringt es mich in Haft zurück.
Ich wollte mir Hilfe suchen, doch erhielt ich nur Absagen, endlose Wartelisten oder die Aussage wir behandeln das nur in Verbindung mit einer Drogensystematik. Ich fühlte mich derart im Stich gelassen und mir wurde klar ich „muss“ es alleine schaffen.
Doch immer wieder kam es zu Rückfällen, einer schlimmer als der andere. In diesen Monaten zählte nur der „Rausch“, die Glücksgefühle, alles andere hatte keinen Raum, ich blendete es aus. Jedes Mal danach hatte ich ein mega schlechtes Gewissen. Mir wurde bewusst, was ich erneut tat, was ich damit anrichtet und wieviele Menschen ich enttäuschte/verletzte – wo es mich hinbringt. Oft gab es Zeiten, wo ich mich selbst anzeigen wollte, denn ich wusste immer mehr, dass ich es nicht alleine schaffen würde, enden wird es nicht. Die Angst und Scham war dennoch viel zu groß und gewann.
Und es kam, wie es kommen musste: 2010 ging ich erneut für hast 2 Jahre in Haft. Von Anfang hat hatte ich Gespräche mit der Suchtberatung und psychologischem Dienst – die besten Pläne und Voraussetzungen dachte ich wieder einmal. Drei Monate nach der Entlassung fuhr ich zur Therapie in eine Klinik, welche nur von Drogen- und Alkoholsucht sprach. In den Gruppensitzungen kam ich mir immer vor wie ein tropischer Vogel. Viele sagten oft „Ja das kenne ich auch“, wenn ich von meinem Shoppingwahn erzählte, die Sätze waren dann gewesen „Ja im Drogenrausch habe ich auch stundenlang gekauft“.
Ich hatte das aber in keinem Rausch, für mich war das Kaufen meine Droge. Viele glaubten mir das nicht, auch jetzt werde ich dafür ausgelacht. Oder wenn ich zur Suchtberatung gehe „hä du nimmst doch gar keine Drogen.“. Nein meine Droge ist das Einkaufen. Es spielte irgendwann auch keine Rolle mehr was ich kaufe, Gott ich hatte so scheußliche Dinge gekauft, doch es war meins.
Die Menschen denken immer, da es eine stoffungebundene Sucht ist dass es nicht schlimm wäre, man es doch einfach so stoppen können muss. Man hat vielleicht keine extremen körperliche Entzugserscheinungen, doch immer wenn z.B. die EC Karte nicht mehr funktionierte oder im Internet stand, nur per Nachname, bekam ich Schweißausbrüche, Herzrasen, war aggressiv – nicht mehr ich selbst.
Keine Sucht ist besser oder schlechter/schlimmer. Sie verändert den eigentlichen Menschen, sein Verhalten, sein Denken, den Körper und die Psyche. Jede Sucht verringert nicht das eigentliche Problem sondern verschlimmert es. Ich für meinen Teil habe angefangen große Probleme zu kompensieren und irgendwann jede Art von Problem.
Ich war irgendwann nicht mehr in der Lage Probleme „normal“ zu kompensieren. Alles „löste“ ich mit kaufen. Doch genau das war mein Fehler neben einer Reihe von Fehlern.
Das Problem ist auch, dass man kaufen immer muss und mein „bestes“ Beispiel ist, als ich Sonntags Fiebersaft für meine Tochter brauchte. Ich war so voller Angst um sie, dass ich nicht mehr klar denken konnte. Das Ende vom Lied war, dass ich alles mögliche kaufte, von zig verschiedenen Kirschkernkissen bis irgendwelchen Medikamenten. Es spielte keine Rolle was es ist, es spielte für mich in diesem Moment „nur“ eine Rolle dass ich alles aus dem Kopf bekomme. Dem Rückfallrisiko ist man somit leider stets ausgesetzt.
Hier an diesem Ort habe ich erstmal Menschen kennengelernt, denen es genauso ging. Die wissen wovon ich rede. Oft, nein nicht oft sondern immer lag der Grundstein in der Kindheit. Bei mir war es, um mir Liebe und Aufmerksamkeit zu erkaufen, andere wurden mit Geschenken überhäuft als „Ausgleich“ für Liebe, fehlende Zuneigung und Zeit. Wir lernten viel zu früh materielle Dinge falsch einzuschätzen, ins Leben zu integrieren.
Warne nicht mehr in der Lage Beziehungen auf normalen Wegen und Basen aufzubauen. Diesen Kreislauf zu durchbrechen ist schwer, aber nicht unmöglich! Ich bin auf einem guten Weg, denn ich habe mir eingestanden, dass ich nicht „nur“ ein Problem habe wovon ich mich nicht alleine lösen kann, das meine Vergangenheit und einstudierte Strukturen der Auslöser sind, egal wie schmerzhaft es ist, ich dies be- und verarbeiten muss.
Dass es nicht auf materielle Dinge ankommt, denn sie machen genauso glücklich wie Geld allein. Nein es kommt auf die Menschen in seinem Leben an und es gibt sie, die einen trotz oder sogar wegen seiner Fehler und Macken liebe und schätzen.
Sie machen das Leben lebenswert und keine Handtasche, ein Kleid oder ein teures Auto.
Harte und teure Lehrstunden waren nötig, um das zu erkennen. Und es liegt noch ein weiter und steiniger Weg vor mir, doch miss ich ihn nicht alleine begehen. Es ist kein Leben bei jedem Klingeln aufzuschrecken, weil man Angst hat es ist der Postbote, man nicht mehr weiß, was man wann, wo und was bestellt hat oder vor der nächsten polizeilichen Hausdurchsuchung oder schlimmer: Verhaftung.
Man mit Herzrasen an den Briefkasten geht, weil man nicht weiß was einen erwartet. Man alles verstecken muss, sich Geschichten einfallen lassen muss, damit es das Umfeld nicht realisiert.
Bei jedem Polizeiauto, was vorbei fährt Angst hat. Man nicht mehr normal einkaufen gehen, vor Angst vor dem nächsten Rückfall. Nachts nicht mehr schlafen zu können aus Schuldgefühlen, vor Angst vor dem nächsten Tag.
Nein das ist kein Leben und kein Kleid der Welt wert!
Es ist kein Zuckerschlecken, den Weg da raus zu finden. Vor allem auch, da es kaum Anlaufstellen gibt. Man hat das Gefühl, dass die Gesellschaft die Augen vor diesem bestehenden Problem verschließt. Denn wir sind nunmal ein Konsumstaat. Viele von uns mussten sich schon diesen oder einen anderen Satz anhören, wenn man über sein Problem reden wollte: Sie kommen Sie mir ja nicht mit Sucht, das glaubt Ihnen keiner!
Doch Kaufen kann zur Sucht werden, so wie Spiel, Arbeitssucht etc. Und nur weil man es den Menschen nicht direkt ansieht, dass sie konsumieren, bedeutet das nicht, dass es nicht existiert. Mein Ex-Partner hat mal gesagt: „Hättest du nicht Drogen oder Alkoholsüchtig sein können, das hätte ich dann bemerkt und man hätte dir helfen können.“
Doch ist es nicht so bei keiner Sucht, dass man früh aufsteht und sich denkt „hm mir ist langweilig, was mache ich denn heute, ach ich werde süchtig.. hmm, Drogen, nein, teuer und man kann esmir ansehen, ach ich werde kaufsüchtig.“
Nein so ist es nicht, wie bei allem ist es ein schleichender Prozess. Viele Faktoren spielen eine Rolle. Und ehe man sich versieht ist man mittendrin. Das Reinkommen ist leicht, denn man bekommt es nicht mit. Das Herausfinden ohne Hilfe hast unmöglich.
Es müsste viel viel mehr Anlaufstellen, Therapeuten und Kliniken geben, wo man es ernst nimmt. Denn es ist ernst!
Mir als selbst Betroffene war es ein großes Anliegen, denn die Dunkelziffer ist derart hoch, auch dies mal anzusprechen, denn eben durch dieses alltägliche Kaufen müssen, ständig Werbeangebote in Kombination mit einer psychischen Störung, ist jeder von uns dem Risiko ausgesetzt und die Konsequenzen sind verheerend!
Fast 10 Jahre meines Lebens insgesamt hat es mir an Freiheit geraubt und fast 22 Jahre eines normalen Lebens!