Im Leben ankommen…

Artikel von Sunny

10.07.20

Vor kurzem habe ich einen Artikel darüber geschrieben, was die Spätfolgen vom System Strafvollzug sind. Und nun möchte ich daran anknüpfen, aus einem bestimmten Grund. Dieser ist, dass eine für mich gut gewordenen Freundin vor wenigen Tagen endlich in die Freiheit entlassen wurde. Es war ein arg schmerzvoller Tag für mich, denn sie ist ein wichtiger Teil meines Lebens geworden. Solch einen Menschen unter diesen Umständen zu finden ist verdammt schwer, denn bei vielen sind es nur Oberflächliche Bekanntschaften oder „Freundschaften“. So etwas bei uns, was in die Tiefe ging & geht, dies gibt es nur selten im Leben allgemein & hier rinnen erst recht noch viel seltener. An dieser Stelle, vielen Dank für die vielen tollen Momente, für Deine Arschtritte und offenen Worte. Du fehlst!

Anlass dieses Artikels ist nun folgendes. Schon arg oft habe ich derartige Gespräche vor Entlassungen geführt, wo mir die Mädels gesagt haben, dass sie eine scheiß Angst haben im Leben wieder anzukommen. Gestern nun haben wir uns das 1. mal seit der Entlassung gehört. Sie klang schrecklich am Telefon. Für mich Besorgnis erregend. Auf Nachfrage wie es ihr geht, sagte sie mir dann auch dass mich mein Eindruck nicht getäuscht hat. Das es ihr nicht gut geht, es schwer fällt anzukommen.

Ihre ersten Stunden im Leben begannen erneut mit Lügen, um nicht mit abwertenden Blicken angeschaut zu werden. So war sie beim Friseur, denn ihre Haare waren völlig kaputt. Der Friseur fragte warum sie so lange gewartet hat, ihre Antwort „ vielleicht wollte ich sie lang wachsen lassen“. Sie sagte mir dann auch was hätte ich denn sagen sollen, „ich war 11 Monate in Haft, konnte nicht eher“? Das es dann Blicke gegeben hätte ist doch klar. Dies wollte sie auf gar keinen Fall. Was ich mehr als nur verstehen kann. Leider!

Die nächste Situation war dann in einem Einkaufsladen, sie ging mit Mundschutz hinein, allerdings ohne Korb. Als Corona kam war sie schon lange hier. Sie wusste es einfach nicht!

Sofort wurde sie vom Security Mann angebrüllt ob sie denn nicht wüsste, ohne Korb kein Eintritt. Nein dies wusste sie tatsächlich nicht. Ihr war dies so unangenehm. Und auch dies glaube ich sofort.

Ich für meinen Teil kenne das Leben draußen vor Corona auch kaum noch. Bei ihr ist es auch arg schwierig, obwohl es in Klammern „nur“ fast 1 Jahr war. Dennoch fällt ihr alles schwer. Sie ist nicht alleine draußen, und fühlt sich dennoch so. Sie sagt selbst das es sehr komisch ist, denn hier war sie 24/7 von irgendwelchen Frauen umgeben. So auf Arbeit, Haftraum, Station oder Hof. Frauen die einen verstanden, denn eines haben wir dennoch gemeinsam – wir sitzen im selben Boot!

Das Geld ist auch knapp, bis die Ämter zahlen wird es noch dauern und sie sagt selbst das es schwerer fällt nicht ins selbe Muster zurück zufallen. So geht es arg vielen, umsonst kehren auch nicht so viele zurück. Denn die Mischung aus den Gefühlen des alleine seins, nicht ankommens gepaart mit Geldnot lässt viele Rückfällig werden. Es fällt auch schwerer sich draußen zu öffnen, oder man „muss“ mit Lügen anfangen. Denn keiner welcher nicht selbst diese Hölle hier durchlebt hat, kann nachvollziehen was in ihr/uns vorgeht. Gerade deshalb fühlt man sich auch so allein. Und man hat das Gefühl nicht mehr im Leben anzukommen.

Diese System ist abgrundtief falsch, es macht einen Mensch psychisch & physisch kaputt. Deshalb werde ich auch weiterhin gegen dieses System ankämpfen! Koste es was es wolle!!!

Die Spätfolgen mögen einigen nicht verheerend genug vorkommen. Doch sind sie es, Depressionen, Angstzustände sind keines Weges lapidare Krankheitsbilder. Und auch die Statistiken bzgl. der Rückfallquoten nach Haftstrafen ohne oder mit Bewährung sprechen Bände. Ebenfalls … gerade von den Drogenabhängigen sich einen sogenannten Goldenen Schuss gaben, sprechen für sich.

All dies wird billigend in Kauf genommen.

HÖRT AUF DIE AUGEN ZU VERSCHLIEẞEN!!!

Aus Unrecht wird kein Recht!!!