Aktiv und solidarisch sein und werden

Kampagne – #Free Sunny #Free them all

Solidarische Grüße  –  eine Einsendung aus Stuttgart vom Halk Kültür evi Volks Kulturzentrum

 

 

Sunny sendet herzliche solidarische Grüße und vielen Dank an alle unbekannten Unterstützer:innen:

 

 

 

 

Sächsisches Staatsministerium der Justiz und für Demokratie, Europa und Gleichstellung

Frau Katja Meier

Hospitalstraße 7

01097 Dresden

 

Chemnitz, den 25. Juli 2020

Offener Brief an Frau Ministerin für Justiz und Gleichstellung des Freistaates Sachsen

Frau Ministerin Meier,

mit Besorgnis um unsere Angehörigen in Haft wenden wir uns mit diesem Brief an Sie und die Öffentlichkeit. In den sächsischen Haftanstalten herrschen untragbare Zustände, welche im Rahmen der Corona Pandemie noch einmal verstärkt wurden. Wir möchten diese hiermit der Öffentlichkeit kundtun und Sie bitten dazu Stellung zu beziehen.

Im Sächsischen Strafvollzug heißt es:

Im §3 SächsischesStrafvollzugsgesetz Abs.(4) Das Leben im Vollzug ist den allgemeinen Lebensverhältnissen soweit wie möglich anzugleichen.

Abs.(5) Schädlichen Folgen des Freiheitsentzugs ist entgegenzuwirken.

Abs. (6) 1. Der Bezug der Gefangenen zum gesellschaftlichen Leben ist zu wahren und zu fördern.

2 Die Belange der Familienangehörigen der Gefangenen sind bei der Vollzugsgestaltung zu berücksichtigen.

3 Der Erhalt familiärer Bindungen ist zu unterstützen.

4 Ehrenamtliche Mitarbeiter sowie Personen und Einrichtungen außerhalb des Vollzugs sollen in den Vollzugsalltag einbezogen werden. Den Gefangenen ist sobald wie möglich die Teilnahme am Leben in der Freiheit zu gewähren.

Im Rahmen der Corona Pandemie wurde einmal mehr deutlich wie isoliert unsere Familienangehörigen von uns und der Außenwelt sind. Grundlegende Mittel der Kommunikation wie Telefonieren und Videochatten werden in sächsischen Haftanstalten auch im 21. Jahrhundert noch sehr eingeschränkt. In einer Gesellschaft wo wir alle ganz selbstverständlich für wenige Euro monatlich Internet- und Telefonflatrates buchen können, sind die Inhaftierten darauf beschränkt teures Guthaben beim Anbieter “Telio” aufzuladen. Es ist nicht möglich Flatrates zu buchen oder zwischen preisgünstigeren Anbietern zu wählen. “Telio” hat die Monopolstellung im sächsischen Vollzug und kann damit die Preise frei bestimmen. In den letzten Monaten der Corona Krise, in einer Zeit, wo Besuche ausgesetzt wurden, fielen so mehrere hundert Euro monatlich an Telefongeld an. Dies steht im krassen Gegensatz zu den marktüblichen Preisen für Telefondienste.

Es wird ganz deutlich, dass damit der §3 SächsischesStrafvollzugsgesetz Abs. (4) verletzt ist. Dieunverhältnismäßig hohen Preise des Anbieters Telio führen auch dazu, dass die Kommunikation zwischen uns und unseren Angehörigen aus finanziellen Gründen nur eingeschränkt möglich ist.

Kommunikation ist ein ganz elementarer Teil von sozialen Beziehungen und der gesellschaftlichen Teilhabe, insbesondere in Haft. Eine derartige Einschränkung von Kommunikation ist ganz explizit nicht im Sinne von §3 SächsischesStrafvollzugsgesetz Abs. (5) und Abs. (6). Im April und Mai 2020 wurden den Gefangenen 120 Freiminuten auf Festnetz zugestanden. Wir sehen keine Begründung, warum dieses Zugeständnis eingestellt wurde.

Während der momentanen Besuche trennt die Gefangenen eine Scheibe von ihren Angehörigen und Liebsten. Die Skype-Telefonate begrenzen sich auf lediglich eine halbe Stunde. Das kann nicht als Ersatz für die regulären Besuche gesehen werden, die, der Risikogruppe zugehörigen Menschen oder weit entfernt lebenden Angehörigen verwehrt sind.

Uns und Ihnen sollte klar sein, dass absoluter Schutz vor dem Corona Virus nicht möglich ist, was sich aktuell an dem Fall der JVA Freiburg abzeichnet.

§3 des Sächsischen Strafvollzugsgesetzes entspräche es erstens, normale Besuche mit Mundschutz und ohne Trennscheibe zu gewährleisten. Zweitens sollten, gerade in Haft, günstige Telefonflatrates zur Verfügung gestellt und die Inhaftierten angerufen werden können, da bekannt ist, dass Gefangene durch den geringen Stundenlohn und die teuren Preise in Haft arm sind.

Wenn das Justizministerium und die JVAs weiterhin so unverantwortlich mit dem Resozialisierungsauftrag in Haft, gerade während der Pandemie umgehen, sind Schäden durch den Vollzug vorprogrammiert. Das stellt eine bewusste und klare Verletzung des §3 Abs. (5), SächsischesStrafvollzugsgesetz dar.

Wir fordern Sie hiermit auf Stellung zu beziehen und unverzüglich Maßnahmen einzuleiten, die dem §3 SächsischesStrafvollzugsgesetz (Abs. (2), (4), (5), (6) und (7)) entsprechen.

Mit freundlichen Grüßen,

im Namen der Angehörigen

 

We’re for the birds – not for the cages!                            FREE SUNNY <3

 

 

Kampagne – #Free Sunny #Free them all

 

 

Leben statt Knäste! Öffentlichkeit um die prekären Zustände in der JVA Chemnitz und weltweit.

Solidaritätsaktion anlässlich des internationalen Tages der politischen Gefangenen:

Weiterlesen: https://de.indymedia.org/node/72459

 

 

Pressemitteilung zur Anti-Knast Demonstration zum 07.03.2020

Am 07.03.2020 fand in Chemnitz zum mittlerweile vierten Mal anlässlich des Frauen*Kampftages am 08.03. die Demonstration zur JVA Chemnitz statt. Diese führte dieses Jahr nicht über die Reichenhainer Straße hin und zurück, sondern über die Lise-Meitner-Straße, die Fraunhofer Straße und die Thalheimer Straße bis vor das Tor der JVA Chemnitz. Der Rückweg entsprach dem Hinweg. An der Demonstration nahmen knapp 150 Menschen teil.

Die Pressesprecherin des organisierenden Bündnisses Conny Neubert:

„Dank einer fähigen Anmelderin und eines fähigen Rechtsanwaltes konnten wir zumindest die Route bis zum Tor der JVA Chemnitz auf dem Rechtsweg erstreiten. Von dort konnten wir die Gefangenen Menschen in der JVA Chemnitz gut erreichen, auch wenn wir durch eine hohe Mauer und jeder Menge Stacheldraht immer noch voneinander getrennt waren. Unsere Demonstration wurde von den Gefangenen gut aufgenommen und wir hoffen, dass wir das nächste Mal wieder ein paar mehr Menschen vor und weniger innerhalb der Knastmauern sind.“

Äußerungen von Demonstrationsteilnehmer*innen:

„Besonders berührend fand ich den Moment, als die Grüße aus anderen JVAs verlesen wurden. Das bringt einem die Gefühle der Menschen, die soetwas durchmachen müssen noch einmal sehr viel näher.“

 

„Ich fand es gut, dass wir die Gelegenheit bekommen haben auch Postkarten in den Knast zu schreiben. Das ist etwas, was viel mehr Menschen machen sollten. Immerhin sind die Gefangenen Menschen wie du und ich – mit ähnlichen Wünschen und Bedürfnissen.“

 

„Ich fand die Redebeiträge von women in exil und den zu trans*Menschen in Haft sehr gut. Die haben noch einmal deutlich gemacht, welche patriarchale und rassistische Gewalt noch zusätzlich auf ohnehin schon marginalisierte Gruppen ausgeübt wird. Für diese Menschen ist Knast eine drei- und vierfache Bestrafung.“

 

„Die JVA-Demo ist meine Lieblingsdemo jedes Jahr. Dieses Jahr war die Stimmung zwar leider nicht so gut, wie die letzten Jahre, was vielleicht am Wetter und der geringen Anzahl an Menschen lag, aber die Fahnenchoreografie war wieder sehr schön. Und der Moment, als uns dann ein Mensch in der JVA mit selbstgebauter Fahne aus einem T-Shirt zugewunken hat, hat mich sehr berührt. Besonders schwer fällt mir dann immer der Abschied, weil ich weiß, dass wir vielleicht nur ein kleiner Lichtblick für die Insassinnen sein können, die danach wieder in ihren Knastalltag zurückmüssen.“

Die Veranstaltung im Nachgang an die Demonstration war sehr gut besucht.

 

Hier könnt ihr einen Nachruf zur Anti-Knast-Demonstration nachhören von Radio Corax:
Feministische Anti-Knast-Demo in Chemnitz https://www.freie-radios.net/100504

 

 

 

Am 07. März auf nach Chemnitz!

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English below
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Was: Antiknastdemo zur JVA Chemnitz
Wann: 07.03.2020 um 13Uhr
Wo: Campus Chemnitz, Reichenhainer Straße
Danach: Küche für Alle und Konzert, Subbotnik, Vetterstraße 4A
 
 
Für eine freie Gesellschaft ohne Knäste, Staat und Patriarchat[1]
 
Die Arbeiter*innen in der JVA Chemnitz sollen nach der Logik des Staates ihre “Vergehen” begleichen und wieder in die Gesellschaft geführt werden. Wie ist das möglich, an einem Ort voller starrer Regeln, der keine Eigenständigkeit zulässt und auf Disziplinierung abzielt? Wie ist es möglich, in einer Gesellschaft einen Platz zu finden, von der Du komplett isoliert wurdest,  in der Du keine*n mehr kennst, Dich auf keine*n verlassen kannst, Du durch deinen Knastaufenthalt gerade als Frau* sozial stigmatisiert bist? In welcher Form ist es deiner Rehabilitation dienlich, dass Du weggesperrt, ausgebeutet und erniedrigt wirst?
 
Zum nunmehr vierten Mal wollen wir anlässlich des internationalen Frauen*kampftages unsere Solidarität mit den Gefangenen der JVA Chemnitz ausdrücken. In unserer Gesellschaft werden Menschen aufgrund ihrer geschlechtlichen Identität, ihres Aussehens, ihrer kulturellen Zugehörigkeit, ihrer gesellschaftlichen Stellung und vieler anderer Zuschreibungen diskriminiert. Diese verschiedenen Diskriminierungsformen spiegeln sich dann auch in der Belegung der Knäste wieder. So müssen beispielsweise viele arme Menschen Ersatzfreiheitsstrafen oder Strafen wegen Eigentumsdelikten absitzen. Ohne Geld wird ihnen keine gleichberechtigte Teilhabe an der Gesellschaft zugestanden. Das trifft auf die Frauen* in der JVA Chemnitz zu. Und auch diejenigen, die gegen die vielfältigen Formen der Unterdrückung kämpfen, sind von staatlicher Repression betroffen: So versucht der Staat uns als Widerstandsbewegung zu bekämpfen, uns klein zu machen, unseren Mut zu brechen und uns vom Rest zu isolieren. Der Knast, bzw. seine Androhung, ist dabei eines der mächtigsten Werkzeuge zur Aufrechterhaltung der herrschenden Ordnung.
 
Menschen werden je nachdem was in ihrem Pass steht den Männer- und Frauengefängnissen zugeteilt. Andere geschlechtliche Identitäten werden nicht anerkannt. Beide unterliegen bestimmten Normen und Regeln. Frauen*spezifischen Gesundheitsanforderungen wie beispielsweise in der Schwangerschaft oder während der Menstruation, wird in Haft nicht genüge getan. In der Regel gibt es auf den Mutter-Kind-Stationen viel zu wenige Plätze, um den Bedarf zu decken.
Wie in allen JVAs werden auch die Frauen* in Chemnitz unter einem Zwangsarbeitsregime zu Löhnen von ca. 1 bis 2 Euro die Stunde, ohne Sozial- und Rentenversicherungszahlungen in anstaltseigenen sowie externen Betrieben ausgebeutet. Wer nicht arbeitet, wird schlechter gestellt. In vielen Betrieben ist die Arbeitsbelastung so hoch, dass die Gesundheit der Frauen* erheblich darunter leidet. Dabei haben die inhaftierten Frauen* in Chemnitz und anderswo in ihrem Leben oft bereits Gewalterfahrungen gemacht. Denn in unserer Gesellschaft sind Frauen* leider immer noch in besonderem Maße sexualisierter, sexueller und psychischer Gewalt ausgeliefert. Der Knast isoliert Frauen*, welche vorher schon kein sicheres soziales Umfeld hatten noch mehr und treibt sie häufig zurück in die Arme gewaltvoller Partner.
 
Der Knast ist ein gewaltvoller Ort, der wiederum Gewalt, Diskriminierung und kriminalisiertes Verhalten reproduziert. Die Argumentation, dass Knäste Menschen einfühlsamer machen, ist in sich unschlüssig. So werden auch die in der JVA Chemnitz eingesperrten Nazis, durch den Knastaufenthalt nicht zu mitfühlenden Menschen. Der Knast ist auch kein schwarzes Loch, in welchem sie einfach verschwinden. Meist vernetzen sie sich und profitieren von den gewaltvollen und rassistischen Strukturen, welche bereits existieren.
In einer Gesellschaft, welche auf gegenseitigem Respekt, solidarischem Miteinander und weniger Diskriminierung beruht, darf kein Platz für Knäste sein. Deswegen ist es wichtig, selbstorganisierte, autonome Strukturen und Netzwerke aufzubauen, in denen Betroffene von Diskriminierung und Gewalt Unterstützung finden und gemeinsam für die Verbesserung ihrer Lage kämpfen können. 
 
Die JVA Chemnitz ist ein Ort, der patriarchale Machtverhältnisse anerkennt, durchsetzt und aufrecht erhält. Bei den Frauen* in der JVA Chemnitz verbindet sich die männliche Gewalt gegen Frauen* mit ökonomischer und gesundheitlicher Ausbeutung.
Wir fordern das Ende aller Knäste! Wir fordern eine Transformation der Gesellschaft von Strafe zu gegenseitiger Verantwortungsübernahme. 
 
Knäste zu Baulücken. Baulücken zu Gemeinschaftsgärten!
 
Kommt mit uns anlässlich des Frauen*kamptages zur JVA Chemnitz. Am besten habt ihr eure Lieblings(tier)maske im Gepäck, damit wir uns den Kameras in von unserer schönsten Seite zeigen könnenDer erste Block soll von FLINT- Personen gestellt werden. Lasst uns gemeinsam solidarisch sein und die Isolation der großen grauen Mauern überwinden! 
 
 
[1] Patriarchat- Allgemeine, nahezu global verbreitete Männerdominanz und Synonym für männliche Herrschaft und Unterdrückung der Frauen*. Patriarchat wurde zu einem Sammelbegriff für Strukturen und Formen von Nachrangigkeit, Ausbeutung und direkter sowie struktureller Gewalt gegen Frauen*.
 
Frauen* – wir wollen damit sichtbar machen, das im Frauenknast nicht nur Menschen eingesperrt sind, die sich als Frauen identifizieren.
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What: Anti-prison demo to the Chemnitz prison
When: 07.03.2020 at 13:00
Where: Campus Chemnitz, Reichenhainer Straße
After: Kitchen for everyone and concert in Subbotnik, Vetterstraße 24A
 
 
For a free society without prisons, state and patriarchy[1]
 
According to the logic of the state, the workers in the Chemnitz prison are to pay for their “misdemeanours” and be led back into society. How is this possible in a place full of rigid rules, that does not allow for independence and aims at disciplining? How is it possible to find a place in a society from which you have been completely isolated, in which you no longer know anybody, cannot rely on anybody, you are socially stigmatized by your stay in prison, especially as a woman? In which form does it serve your rehabilitation that you are locked away, exploited and humiliated?
 
For the fourth time now, we want to express our solidarity with the prisoners of the Chemnitz Jail on the occasion of the international women* fight day. In our society people are discriminated against because of their gender identity, their appearance, their cultural affiliation, their social position and many other attributions. These different forms of discrimination are then also reflected in the occupancy of the prisons. For example, many poor people have to serve substitute prison sentences or penalties for property offences. Without money they are not allowed to participate in society on an equal footing. This applies to the women* in the Chemnitz prison. And those who fight against the various forms of oppression are also affected by state repression: Thus the state tries to fight us as a resistance movement, aims to make us small, to break our courage and isolate us from the rest. Prison and its threat, is one of the most powerful tools for maintaining the ruling order.
 
People are assigned to male and female prisons according to what is written in their passports. Other gender identities are not recognized. Both are subject to certain norms and rules. Women*specific health requirements, such as during pregnancy or menstruation, are not met in prison. As a rule, there are far too few places in the mother-child wards to meet the needs.
As in all other prisons, women* in Chemnitz are exploited under a forced labour regime at wages of about 1 to 2 Euros per hour, without social security and pension insurance payments, in the prison’s own and external companies. Those who do not work are worse off. In many companies the workload is so high that the health of the women* suffers considerably. The women* imprisoned in Chemnitz and elsewhere in their lives have often already experienced violence. Unfortunately, in our society women* are still particularly vulnerable to sexualised, sexual and psychological violence. Prison isolates women*, who previously did not have a safe social environment, even more and often drives them back into the arms of violent partners.
 
Prison is a violent place, which in turn reproduces violence, discrimination and criminalized behavior. The argumentation that prisons make people more empathetic is in itself undecided. For example, the Nazis imprisoned in the Chemnitz prison, due to their stay in prison, do not become compassionate people. Prison is also not a black hole in which they simply disappear. Mostly they network and profit from the violent and racist structures that already exist.
In a society based on mutual respect, solidarity and less discrimination, there can be no place for prisons. It is therefore important to build self-organised, autonomous structures and networks in which those affected by discrimination and violence can find support and fight together to improve their situation. 
 
Chemnitz Prison is a place that recognizes, enforces and maintains patriarchal power relations. Among the women* in Chemnitz Prison, male violence against women* is combined with economic and health exploitation.
We demand the end of all prisons! We demand a transformation of society from punishment to mutual responsibility. 
 
Prisons to ruins. Ruins to community gardens!
 
Come with us on the occasion of the womens*fight day to the prison in Chemnitz. Best you bring your favourite (animal) mask with you so that we can show our best side to the cameras.  Let’s show solidarity together and overcome the isolation of those big grey walls! 
 
[1] Patriarchy- General, almost globally spread male dominance and synonym for male domination and oppression of women*. Patriarchy became a collective term for structures and forms of subordination, exploitation and direct and structural violence against women*.
 
Women* – we want to make visible that not only people who identify themselves as women are locked up in women’s prison. 
 
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Warum Knastkritik ein feministisches Thema ist…

Aufruf zur Teilnahme an der feministischen Demonstration zur JVA Chemnitz am 07.03.2020!

Dieser Text entsteht in der Auseinandersetzung rund um den Szene-internen Diskurs bzgl. der Teilnahme an der Anti-Knast-Demonstration – was hält uns davon ab Knäste zu kritisieren und was motiviert uns die Freiheit aller Gefangenen zu fordern?

Vermehrt ist es vorgekommen, dass Menschen, die an der feministischen Anti-Knast-Demonstration im März teilnahmen oder sich dies überlegten, mit offenen Fragen dem Thema Knast gegenüberstanden. Was soll mit den inhaftierten Nazis passieren, wie bspw. Beate Zschäpe? Das Gefängnis ist ein perfekter Nährboden für hierarchische Organisierung und Vernetzung sowie menschenverachtende Einstellungen. Kein Nazi wird weniger von rechtem Gedankengut überzeugt den Knast wieder verlassen.

Warum sollten wir Freiheit für alle Gefangenen fordern? Freiheit zu fordern ist nicht gleichzusetzen mit Gleichgültigkeit gegenüber gewaltvollem oder grenzüberschreitendem Verhalten. Vielmehr ist eine Organisierung von unten angestrebt, hin zu kollektivem sozialen Miteinander, das ohne Verantwortungsübernahme füreinander nicht auskommen kann.

Der Text soll darauf eingehen warum die Institution Gefängnis ihre Funktion verfehlt und dass wir, um eine andere Gesellschaft aufzubauen, auch die Knäste, als Abbild von Staat, Patriarchat1 und Aufrechterhaltung der gesellschaftlichen Normen2 und Herrschaftsverhältnisse, angreifen müssen.

In der JVA Chemnitz ist Platz für ca. 360 Inhaftierte. Es handelt sich hierbei nicht um einen eigenständigen Frauen*3Knast. In Deutschland machen Frauen* ca. 5% der Gefangenen aus, dementsprechend gibt es bundesweit nur 6 eigenständige Frauen*JVAs, sodass ca. 65% in Männervollzugsanstalten gesperrt werden. Durch die mangelnden Unterkünfte für zur Haft verurteilte Frauen* kommen viele in weit entfernten Knästen unter, was die Isolation von Gefangenen nur noch verschärft. Das soziale Umfeld, in dem Frauen* meistens hauptsächlich Fürsorge- und Reproduktionsarbeit übernehmen wendet sich ab. Das Stigma einer Gefangenen oder ehemals Gefangenen widerspricht der klassischen Frauenrolle. Durch die Isolation und Entfernung können Lockerungen (bspw. Urlaub oder Ausgänge) seitens der Gefangenen und Besuche durch das soziale Umfeld nicht wahrgenommen werden. Noch dazu unterscheiden sich die Straftaten, für welche Frauen* belangt werden, darin, dass sie in Deutschland überwiegend wegen Eigentumsdelikten und nicht aufgrund von Gewaltdelikten inhaftiert werden. Auf die Überwachung in den Knästen wirkt sich dieser Unterschied allerdings nicht aus. Außerdem sitzen ca. 50% der Frauen* eine Haftdauer von unter einem Jahr ab, was dazu führt, dass Ausbildungen im Knast nicht abgeschlossen werden können, (allerdings gibt es in manchen Knästen Module, die abgeschlossen werden können und draußen anerkannt werden) und erst gar kein Vollzugsplan erstellt wird, welcher zur sogenannten Resozialisierung, dem ersten offiziellen Vollzugsziel, beitragen soll. Das bedeutet wiederum, dass 50% der Frauen* hinter Gittern ihre Zeit absitzen und nur verwahrt werden. Die Ausbildungs- und Arbeitssituation für Frauen* ist auch noch wegen weiterer Gründe katastrophal. So beschränkten sich in der JVA Vechta, einer eigenständigen Frauen*JVA, die Ausbildungsmöglichkeiten auf den Beruf Köchin, in der JVA Köln konnten sich die Frauen* zur Friseurin, Modenäherin oder Textilreinigerin ausbilden lassen. Hier werden ganz klar klassische Geschlechterbilder aufrecht erhalten, was dazu beiträgt, dass Frauen* nach der Haft im schlecht bezahlten Sektor unterkommen müssen und die prekäre Arbeitssituation Abhängigkeiten verschärfen kann. Arbeiten im Gefängnis bedeutet 1 – 2,50 Euro Stundenlohn zu bekommen und dabei keine Möglichkeit zu haben in Rentenkasse und Sozialversicherung einzuzahlen. In 12 von 16 Bundesländern herrscht Arbeitspflicht in Gefängnissen. Wer sich dem widersetzt, wird sanktioniert. Die zu erwerbenden Güter und Produkte im Knast sind überteuert und natürlich sind auch Hygieneartikel nicht kostenfrei erhältlich.

Die Vollzugsgesetze beinhalten mehrere Grundsätze, zum einen den problematischen Trennungsgrundsatz, welcher basierend auf der Annahme eines zweigeschlechtlichen Geschlechterkonstruktes trans* Menschen vollkommen ausschließt, vor allem dann, wenn diese noch keine geschlechtsangleichende Behandlung hinter sich haben.4 Der Trennungsgrundsatz regelt die binäre Geschlechtertrennung in Knästen, sowohl der Gefangenen als auch des Personals ausgehend von einem heteronormativen Verständnis von Sexualität. Des Weiteren gibt es den sogenannten Angleichungsgrundsatz, welcher besagt, dass die Umstände hinter den Mauern denen der Gesellschaft weitestgehend ähneln sollen. Es ist allerdings spannend, dass bei der Problematik von überbelegten Knästen der offene Vollzug meistens noch frei und der geschlossene überbelegt ist. (In Sachsen lag die Belegung im Jahre 2007 bei 119%. Der offene Vollzug ist in der JVA Chemnitz derzeit voll mit Ersatzfreiheitssträflingen5.) Dabei gleicht die Haft im offenen Vollzug den Umständen der Gesellschaft deutlich mehr. Der Angleichungsgrundsatz muss auch bzgl. der mangelnden gesundheitlichen Versorgung zur Sprache kommen. Auf ca. 360 Gefangene kommt ein*e Anstaltsärzt*in und nur 3 Psycholog*innen. Es ist erwiesen, dass bei den meisten inhaftierten Frauen* ein in der Kindheit liegendes Trauma vorliegt und bereits Erfahrungen von sexualisierter Gewalt gemacht worden sind. Des Weiteren zeigt sich, dass Haft den psychischen Zustand verschlechtert, Suizidalität und Suchtproblematiken verstärkt und verursacht. „Schädlichen Folgen des Freiheitsentzugs ist entgegenzuwirken.“, besagt §3, Abs. (4) des sächsischen Vollzugsgesetzes. Allerdings wird bei psychischen Erkrankungen nur mit ruhig stellenden Medikamenten „therapiert“. Es passiert wohl nicht selten, dass wie auch im Sunnys Fall, Menschen einfach in den Bunker6 gesteckt werden, wegen anscheinender akuter Suizidalität.

In Anbetracht einiger offizieller und inoffizieller Funktionen der Vollzugsanstalten der Resozialisierung, Schutz der Gesellschaft, Abschreckung, „Wiedergutmachung“ und Aufrechterhaltung der Disziplinargesellschaft7 und Machtverhältnisse durch gesellschaftliche Normen, scheint an dieser Stelle nur der Schutz der Gesellschaft und die Aufrechterhaltung von Machtverhältnissen nachvollziehbar. Doch gibt es zu Genüge Statistiken, die besagen, dass die Rückfallquote im Durchschnitt bei 35%, also bei über einem Drittel liegt, bei Jugendstrafe ohne Bewährung bei ca. 65%. Warum ehemalig Inhaftierte wieder straffällig werden, liegt unter Anderem daran, dass sie nach der Freilassung ohne jegliche Hilfe und orientierungslos in eine veränderte Gesellschaft zurück kehren. Dort wartet auf sie Stigmatisierung, die soziale Isolation auch draußen nur begünstigt. An dieser Stelle soll auch auf den Zusammenhang von Armut und Kriminalität eingegangen werden und auf die Bevölkerungsgruppen, die im Fokus der sozialselektiven Mechanismen straffällig gemacht und kriminalisiert werden. Im Jahr 2016 machten Menschen ohne deutschen Pass 27,9 % der Gefangenen aus, wobei sie in der Bevölkerung nur 10% der Gesamtbevölkerung ausmachten. Ein genauerer Blick auf die Ersatzfreiheitsstrafe, welche Menschen ihre Geldstrafe in Haft absitzen lässt, verdeutlicht: Armut wird bestraft. Armut verschärft die Strafsituation im Gefängnis, da Kommunikationsgüter, wie bspw. Telefongeld oder Fernseherkonsum kostspielig sind und alle Konsumgüter überteuert. Hinzu kommt, dass Gefängnis die soziale Lage verschlechtert, was zu einem Teufelskreis nach der Haft führt und darauf hinweist, dass Kriminalität durch das Gefängnis nur produziert wird. Wer definiert eigentlich was kriminell ist? Der Schutz, den das Gefängnis der Gesellschaft also geben soll, ist ebenfalls nicht gewährleistet. Das gilt auch für Nazis hinter Gittern. Die Bestrafung durch Haft in Gefängnissen führt nicht zu einer Besserung und wird nicht zu einer progressiven Gesellschaft beitragen. Alternativen zu schaffen, die Menschen eine wirkliche Chance zur Veränderung ihres Verhaltens geben, können es verhindern, dass unsere Gesellschaft erst gar keine Nazis hervorbringt. Die Institution Gefängnis an sich muss kritisiert und abgeschafft werden. Darüber hinaus sollte es um Ursachenbekämpfung von Armut und Ungleichheit gehen. Ansonsten dient das Gefängnis nur weiterhin der Aufrechterhaltung der Logik von patriarchaler Gewalt, Unterdrückung und kapitalistischer Verwertung.

Um Antworten zu finden, auf den Umgang mit Täter*innen, die grenzüberschreitendes Verhalten an den Tag legen, in welcher Form auch immer, kann sich an einer utopistischen Vorstellung von gesellschaftlichen Zuständen orientiert werden. Statt den*die Täter*in in den Fokus zu stellen und diese*n durch Isolation und autoritären Umgang, Arbeitszwang, Überwachung und Stigmatisierung zu bestrafen, sollte eher transformative Hilfe8 angeboten und nach Gründen für Verhalten gesucht werden; die Betroffenen unterstützt und in kollektiver Verantwortungs- und Anteilnahme Wege des gesellschaftlichen Umgangs geformt werden.

Kurz: Wenn also auf der Demonstration die Parole „Freiheit für alle Gefangenen“ gerufen wird, verstehe ich das als eine Verneinung der gängigen Strafpraxis, Menschen unter menschenunwürdigen Zuständen einzusperren. Als ein Nein zu patriarchalen, gewaltvollen, rassistischen und faschistoiden Logiken und auch als eine Betroffenheit, die über die eigene hinaus geht und uns zu Verbündeten macht, die genau diese Logiken in uns und unserem Umfeld gemeinsam bekämpfen.

1Patriarchat ist ein Konzept, das versucht die aktuellen Herrschaftsverhältnisse unserer Gesellschaft zu beschreiben und zu zerlegen. Die historische Herleitung des Wortes ist angelehnt an „Herrschaft der Väter“. Geschlecht wird als Kategorie, welches Normen und Identitäten an die herrschenden Machtverhältnisse produzieren soll untersucht und Unterdrückungsformen betrachtet. Der Begriff Patriarchat ist nicht klar definiert, versucht aber Verbindungen und Zusammenhänge von Herrschaft und Macht herzustellen und thematisiert einen gewaltvollen Zustand der Gesellschaft, von dem vor allem Menschen, die sich nicht in der Zweigeschlechtlichkeit verorten können und wollen, sowie Frauen betroffen sind.

2Der Begriff Normen wird im Duden definiert als: „allgemein anerkannte, als verbindlich geltende Regel für das Zusammenleben der Menschen.“ Normen grenzen dabei aber auch immer Personengruppen aus, deren Verhalten bspw. davon abweicht. In unserer Gesellschaft wird von der Norm abweichendes Verhalten bestraft. Früh lernen wir uns diszipliniert an die herrschenden Regeln anzupassen.

3Das Sternchen an dem Wort Frauen* soll darauf hinweisen, dass nicht alle sich im Knast befindenden Personen sich als Frauen verstehen, auch wenn sie im zweigeschlechtlichen System so eingeordnet werden. Auch soll das Sternchen auf die Problematik hinweisen, dass Menschen, die sich außerhalb von Frau und Mann verorten nicht mitgedacht werden.

4Für weitere Informationen ist diese Broschüre frei erhältlich: http://transundhaft.blogsport.de/images/Informationen_Fur_Transmenschen_inHaft2.pdf

5Mehr Informationen zur Ersatzfreiheitsstrafe hier: https://ersatzfreiheitsstrafe.de

6Bunker: „Aufenthalt in einer B(eruhigungs)-Zelle. In der Regel als Disziplinar-, Sicherungs- oder Beruhigungsmaßnahme. Fesselung möglich. Kann stunden- oder tageweise verordnet werden. Empfänger dieser Maßnahme erhalten in der Regel außer Shorts und Wolldecke nichts anderes. Matratze auf dem Boden ersetzt das Bett. WC im Boden eingelassen. Ununterbrochene Videoüberwachung. Externe Temperaturregelung.“ (http://www.ulmerecho.de/ArchivUlmerEcho/Ue1-2000/Themen/Woerterbuch.html)

7Die Disziplinargesellschaft ist ein von dem Theoretiker Michel Foucault beobachtete und konstruierte Entwicklung unserer Gesellschaft seit dem 17.Jh. Er stellt fest, dass durch Disziplin Körper unterwürfig gemacht werden, um wirtschaftlich verwertbar zu sein. Dabei spielen Disziplinarinstitutionen, wie Bildungseinrichtungen, Ämter, Fabriken etc. eine entscheidende Rolle. Die Disziplinierung erfolgt unter Anderem durch Kontrolle, Wissen und Überwachung von Menschen. Tätigkeiten werden durch zeitliche Einteilung in Rhythmus und Dauer, Einteilung der Menschen in Kategorien, Klassen und Ränge organisiert und überwacht. Dabei orientieren sich Menschen an herrschenden Normen (siehe Fußnote 5) und stehen in Konkurrenz zueinander. Durch die Disziplinierung wird abweichendes Verhalten bestraft und übereinstimmendes Verhalten belohnt. Auch unser Strafsystem ist an der Norm angelehnt und bestraft abweichendes Verhalten. Foucault spricht von einem »Strafsystem der Norm« ausgehend vom 18.Jh. (Für eine weitere Auseinandersetzung: Foucault, Michel (1994): Überwachen und Strafen. Die Geburt des Gefängnisses)

8Transformative Hilfe versteht sich als Prozess, bei dem der/die Täter*In dabei unterstützt wird sein/ihr Verhalten zu reflektieren mit der Grundannahme, dass Menschen dazu in der Lage sind sich zu entwickeln und Verhaltensweisen zu verändern.