Artikel von Sunny
Nun fange ich diesen Artikel erneut an, denn es fällt mir doch arg schwer es nicht allzu sehr auf das Persönliche zu beziehen. Bei dem Ganzen, was mir so in den letzten Jahren passiert ist das eben leider nicht so einfach.
Doch betrifft es nun einmal nicht nur mich, sondern jeden einzelnen Gefangen und dabei ist es völlig egal in welcher JVA man sich befindet, denn eines hat jeder Strafvollzug gemein – es prägt einen für das restliche Leben und das nicht im Geringsten im Positiven – nein – im Gegenteil.
Und ob man will oder nicht; das bleibt ein Leben lang in einem drinnen.
Es sind so viele Kleinigkeiten, die ein großes Ganzes sind und stärken.
Die „Strafe“ von jedem von uns soll Freiheitsentzug sein, doch dabei „allein“ bleibt es nicht. Laut sächsischem Strafvollzugsgesetz (SächsStVollZG) §2 soll der Vollzug dem Ziel dienen die Gefangenen zu befähigen, künftig in sozialer Verantwortung ein Leben ohne Straftaten zu führen. Dies wird durch eine zielgerichtete und wirkungsorientierte Vollzugsgestaltung gewährleistet.
Soweit so gut laut Gesetzbuch, doch wie sieht das denn umgesetzt aus?!
Es fängt schon dabei an, dass soziale Bindungen auf das extremste heruntergefahren werden. Z.B. maximal 10 Telefonnummern, maximal 15 Besucher Zulassungen, maximal 4h Besuch im Monat (wenn Corona nicht wäre!). Wie soll man so soziale Bindungen ideal aufrecht erhalten?!
Hier soziale Bindungen aufrecht erhalten zu können oder gar erste entstehen zu lassen ist echt nicht einfacher.
Das Klientel ist arg unterschiedlich. Hinzu kommt, dass man sich oft eventuell nur auf Arbeit, auf dem Freihof (1h täglich und 1,5h pro Wochenende) sieht oder insgesamt 3h in Aufschluss.
Dann ist ein häufiges Kommen und Gehen von den Gefangenen. Also hat man doch evtl. mal jemanden gefunden, ist er morgen evtl. schon wieder weg.
Irgendwann stumpft man sozial ab, lässt Menschen gar nicht mehr oder kaum noch in sein Leben oder gibt ihnen die Chance einen selbst richtig kennenzulernen.
Bei vielen habe ich auch in den letzten Jahren beobachtet, dass sie durch diese ganzen Umstände empathiemäßig abstumpfen.
Was ich arg erschreckend finde, aber auch ein Stück weit nachvollziehen kann.
Viele sind sich gerade an diesem Ort am Nächsten, aus reinem Selbstschutz vor Enttäuschungen – oft geprägt durch das Leben, was einen erst hierher verbrachte, aber auch weil man langfristig hier keine sozialen Bindungen aufbauen kann.
All das überträgt man hinterher wenn die Zeit vorbei ist auch in das Leben außerhalb dieser Mauern – ob man will, oder nicht, denn jeder Tag, den man hier ist, trägt dazu bei, dass es sich in einem manifestiert.
Dies dann abzulegen/zu ändern wird und fällt schwerer, je nachdem, welcher Typ Persönlichkeit man ist, ist es vielleicht irgendwann nochmal zu kitten. Doch das wird schwer werden!
Ein großer Punkt einer der negativen Spätfolgen ist daher, dass man sozial und somit auch empathiemäßig abstumpft – vielleicht sogar für immer!
Wo dies dann zielgerichtet und wirkungsorientiert ist, für ein Leben ohne Straftaten, erschließt sich mir da nicht im Geringsten.
Ein Start nach der Haft in ein neues straffreies Leben ist in vielerlei Hinsicht schwer und ohne entsprechenden sozialen Bindungen, völlig allein, kaum zu schaffen.
Doch genau dafür sorgt der Vollzug, dass man irgendwann im schlimmsten Fall allein dasteht.
Was auch konträr zum §3 SächsStVollZG steht, denn in diesem heißt es unter anderem:
(4) Das Leben im Vollzug ist den allgemeinen Lebensverhältnissen soweit wie möglich anzugleichen.
Und weiter:
(5) Schädlichen Folgen des Freiheitsentzuges ist entgegenzuwirken
Weiter:
(6) Der Bezug der Gefangenen zum gesellschaftlichen Leben ist zu wahren und zu fördern.
Doch wird weder auf diese Punkte eingegangen, noch Rücksicht genommen und das spiegelt der Ablauf nun mal mehr als deutlich wieder.
Natürlich ist es nicht realisierbar, dass man das Leben im Knast trotz Freiheitsentzug dem Leben von „draußen“ angleichen kann. Dennoch muss viel mehr getan werden, um es ansatzweise zu realisieren. Es müsste und sollte viel mehr Besuchsstunden im Knast geben, auch Ausführungen und Lockerungen müssten und sollten großzügiger gestaltet und umgesetzt werden. Um eben doch im Ansatz Absatz (4) näher zu kommen, soziale Bindungen und Kontakte aufrecht erhalten zu können. Jedoch auch da, wo Familien zu weit weg wohnen sollte es frühstmöglich in regelmäßigen Abständen Ausführungen geben.
Ein großer Fortschritt, den die JVA Chemnitz nun getan hat ist die Skype-Telefonie, welche so makaber das klingt durch die Corona Krise das doch recht schnell umgesetzt wurde und welche auch Bestand haben soll, wenn sich alles wieder normalisiert hat. Dies muss man an dieser Stelle dann doch einmal positiv erwähnen. Denn in anderen JVAs – zum Beispiel Thüringen – gibt es diese Möglichkeit nicht. Trotz allem oder gerade deswegen muss viel mehr passieren, um den Anschluss im Leben und zu sozielen Bindungen nicht zu verlieren.
SächsStVollZG §4 (1) besagt: „Die Persönlichkeit der Gefangenen ist zu achten. Ihre Selbstständigkeit im Vollzugsalltag ist soweit wie möglich zu erhalten und zu fördern.“
Und da bin ich auch schon bei dem zweitgrößten Problem und negativen Schwerpunkt des Systems und Strafvollzug. Ich werde nun mal den Vollzug und das normale Leben in einigen Punkten gegenüberstellen, damit Sie wissen, was genau ich kritisiere.
Im Vollzug:
– wird man geweckt
– Post wird weg- und gebracht
– Einkauf wird gebracht
– Wäsche wird an vorgeschriebenen Tagen gewaschen, geholt und gebracht
– Freihofzeiten sind vordiktiert
– Einkaufsangebot ist begrenzt
– Geld wird einem quasi eingeteilt und Bargeld erhält man im geschlossenen Vollzug nicht
– Termine werden einem vordiktiert und gemacht und man wird pünktlich hinverbracht
Im normalen Leben:
– muss man selbstständig aufstehen
– muss man Post selbstständig wegbringen und holen
– muss man selbstständig einen Einkaufsladen aufsuchen und die Dinge nach Hause befördern
– Essen muss man selbstständig zubereiten
– Wäsche muss man selbstständig waschen
– Einkaufsangebote sind unbegrenzt
– man muss sich selbstständig das Geld einteilen und schauen wie man den restlichen Monat über die „Runde“ kommt
– Termine müssen selbstständig gemacht und wahrgenommen werden
Wenn man sich diese Vergleiche einmal genau anschaut, stellt man schnell fest, dass einem die Selbstständigkeit komplett entzogen wird, was dann wiederum dazu führt, dass Menschen, die aus dem Strafvollzug oft erst nach Jahren entlasssen werden, völlig überfordert sind mit dem Leben außerhalb der Mauern. Denn jahrelang waren sie es gewohnt, dass man ihnen alles abgenommen hat oder hinterher getragen hat – die Selbstständigkeit nicht stattfand.
Da ist es für mich nachvollziehbar, dass gerade aufgrund dieser Überforderung (und da reicht schon ein normaler Lebensmitteleinkauf oder Terminwahrnahme) viele Menschen rückfällig werden und so an diesem Höllenort zurückkehren.
Vor knapp zwei Jahren habe ich es live mitbekommen, wie sich eine mit Händen und Füßen gewehrt hat, wie sie eben nicht entlassen werden wollte. Sie hatte draußen niemanden mehr und hatte auch Angst davor sich im normalen Leben nicht mehr zurechtzufinden – sie war 5 Monate in Haft. Da war für mich eine sehr erschreckende Beobachtung! Doch leider ist dies kein Einzelfall, dass die Menschen nach einer gewissen Zeit Angst vor dem Leben draußen haben. Gerade jetzt in dieser Zeit werden viele aus meinem Umfeld entlassen und wir reden sehr viel darüber. Und oft sind es dann Gespräche, die oft mit Sätzen anfangen wie: „Ich freue mich schon mega auf draußen. Endlich wieder Einkaufen gehen, zum Friseur, raus gehen wann ich will. Ich werde Abends erstmal nur unterwegs sein, weil ich das so lange nicht konnte. Aber ich habe auch eine scheiß Angst davor. Nein – ich glaube ich brauch dann doch erst mal meine Ruhe, um dass zu realisieren.“
Die Gespräche sind fast immer in solch einem Kontext. Und ich kann es mehr als nur nachvollziehen!
Ich bin eine der wenigen, die sich glücklich schätzen kann über die Menschen in meinem Leben außerhalb der Mauern, die dennoch die ganzen Zeit für mich da sind. Und dies ist keine Selbstverständlichkeit, denn nicht selten führt der Vollzug zu Abbrüchen im sozialen Umfeld.
In den fast 3 Jahren in denen ich mich nun im Vollzug befinde, habe ich viele Frauen ein-, zwei-, manchmal sogar dreimal wiederkommen sehen und warum das Ganze?!
Wenn ich oder man sie dann fragt „Mensch, was machst du denn wieder hier?!“ ist die Antwort darauf fast immer dieselbe: „Ich war völlig überfordert, als die Käseglocke über mir weg war. Ich stand alleine da und sollte mich plötzlich wieder um alles selbst kümmern.“. Solche, oder so ähnliche Antworten erhalte ich dann. Schlimm finde ich dann die Reaktion der Bediensteten, denn nicht selten kommt dann der Spruch: „Ach, auch wieder da?! War ja klar!“
Man sollte sich dann mal fragen, warum das so ist, aber diese Mühe machen sich kaum welche. Aber Schimpfen – das können sie!
Eine der weiteren Spätfolgen ist daher, dass man die Selbstständigkeit völlig verliert und wenn man sie dann wieder einsetzen soll und muss, ist sie soweit verschwunden, dass die Menschen gnadenlos überfordert sind und vor Allem dass dann auch keiner mehr in ihrem Leben ihnen zur Seite steht.
Jetzt sagen und denken viele – es gibt doch Hilfsprogramme für Häftlinge? Ja, die gibt es auch, aber viele verlieren hier drinnen auch gar das Vertrauen in Menschen. Andere hingegen schämen sich Hilfe anzunehmen. Und noch ein Problem ist, dass es oft schwer ist, in solch ein Programm rechtzeitig vor der Entlassung hineinzukommen.
Viele stehen so in der neu gewonnenen Freiheit genauso alleine da, wie sie so oft es vorher schon waren – oder fühlen sich so, was genauso schlimm ist.
Hat man doch die Möglichkeit erhalten und konnte sie persönlich annehmen in solch ein Hilfsprogramm zukommen, ist es langfristig dennoch schwierig im Leben wieder anzukommen.
Denn oft findet man sich in Sammelunterkünften für Ex-Häftlinge wieder – also indirekt altes Umfeld. Einen Arbeitsplatz zu finden gerade in der heutigen Zeit als Vorbestrafter ist nicht unmöglich, aber verdammt schwer. Hobbys, wo man doch eventuell neue Menschen kennenlernen könnte, kann man sich finanziell nicht leisten.
Oft sind Depressionen dann nicht weit weg. Und diese vielen kleinen Punkte bilden wieder ein großes Ganzes und dies führt nicht selten an diesem Ort auf kurz oder lang zurück.
Das sind erschreckende Tatsachen und erschreckende Realitäten!
Es gibt hunderte Statistiken dazu und dennoch wird an dem total veralteten System verbissen festgehalten.
Die negativen Spätfolgen, die oft ein Leben lang bleiben, werden völlig ignoriert und billigend in Kauf genommen.
Auch gesundheitliche Spätfolgen sind häufig z.B. Depressionen, Sehstörungen, Gelenkbeschwerden u.v.a.
Gerade Depressionen aufgrund der Umstände, Sehstörungen aufgrund des geringen Sichtfeldes in diesen kleinen Hafträumen oder auch Gelenkbeschwerden durch Bewegungsmangel sind häufige Folgen und Spätfolgen des Strafvollzuges.
So viel zu dem SächsStVollZG §3 (5) Schädlichen Folgen des Strafvollzuges ist entgegenzuwirken – genau das Gegenteil ist der Fall.
Nun möchte ich es aber für heute bei diesen Zeilen belassen und werde an einer Fortsetzung schreiben, denn es ist ein sehr langes Thema. Es gibt noch viele andere Spätfolgen.
Doch diese von heute sind in meinen Augen die Schlimmsten!
Aus Unrecht wir hier Recht!!!